Zu üppig gegessen? Ein Glas Wein zu viel getrunken? Um kulinarische Sünden auszugleichen, greifen viele zum Basenpulver – und wähnen sich damit in falscher Sicherheit vor Übersäuerung. – Von Alexandra Roder
Wer sich ständig müde und abgespannt fühlt, gereizt ist, regelmäßig Darmprobleme oder Kopfschmerzen hat, sollte sich fragen, was da nicht stimmt. Packt man gesundheitliche Schwächen naturheilkundlich am Schopf, landet man schnell bei der Frage nach der Übersäuerung, die als Ursache für viele Zivilisationserkrankungen verantwortlich gemacht wird. Die moderne Ernährungsform – zu fett, zu süß, zu eiweißlastig –, wenig Bewegung an der frischen Luft und zu viel Stress: Solche Faktoren führen dazu, dass der Körper zu viel Säure produziert, die er nicht mehr abbauen kann und notgedrungen im Körper deponiert.
Dagegen soll es ein einfaches Mittel geben: das Basenpulver. Nach dem Essen ein Löffel davon ins Glas und schon vergisst und vergibt der Körper kulinarische Sünden, glauben viele, und kaufen eifrig solche Produkte. Aber das Thema ist umstritten, und die Diskussion über den Sinn und Unsinn der Einnahme von Basen in Form von Pulver und Tabletten wird selbst unter Heilpraktikern kontrovers geführt.
Da die meisten Lebensfunktionen nur in einem ganz bestimmten Milieu ablaufen, muss der Körper bestrebt sein, dieses konstant aufrechtzuerhalten. Im Blut liegt dieser Wert optimal bei einem pH von 7,4. Durch die Nahrungsaufnahme kommt es je nach verzehrten Lebensmitteln zu geringen Schwankungen in diesem empfindlichen System.
Dem Organismus stehen diverse Regelmechanismen zur Verfügung, um das Gleichgewicht wieder herzustellen: einerseits das körpereigene Puffersystem, andererseits die Regulationsorgane Niere, Leber und Lunge. Andere Körpersysteme haben andere pH-Werte. Die Magensäure hat beispielsweise einen pH von 1 bis 1,5, ist also sehr sauer.
Welche Nahrungsmittel als sauer oder basisch eingeteilt werden, lässt sich allerdings nicht am Geschmack festmachen – Zitronen beispielsweise wirken im Körper basisch. Entscheidend ist also nicht die Wirkung auf den Gaumen, sondern die im Organismus. Zu den säurebildenden Lebensmitteln gehören z.B. Fleisch, Wurst, Fisch, Milchprodukte, Zucker, Alkohol und Kaffee. Basenbildner sind in erster Linie die meisten Obst- und Gemüsesorten, Salate, Sprossen und Kräuter. Ein Gipfeli zum Frühstück, über Mittag ein Schnitzel mit Pommes frites und am Abend Lasagne – da ist schnell ersichtlich: Einfache Kohlenhydrate, tierische Eiweiße und tierische Fette dominieren.
Nach Meinung der meisten Ärzte arbeiten die Puffersysteme und die am Säure-Basen-Haushalt beteiligten Organe effizient genug, um überschüssige Säure auszuscheiden.
Aus naturheilkundlicher Sicht aber nimmt die Regulierung des Säure-Basen-Gleichgewichts eine enorm wichtige Stellung ein. Das Übel liege in der heutigen Ernährung, die die Zellen überfordere, das Darmmilieu störe und die Leber belaste. In der Folge seien die Ausscheidungsorgane nicht mehr in der Lage, die durch den übermäßigen Konsum von Zucker und tierischen Eiweißen entstandene Säure abzubauen oder auszuscheiden. Dem Körper bleibe nichts anderes übrig, als sie in den Zwischenzellraum zu befördern; es würden Ablagerungen, so genannte «Schlacken», gebildet.
Als Folgen einer chronischen Übersäuerung werden eine Schwächung des Immunsystems, Herz-Kreislaufstörungen, Karies, Abbau der Muskulatur, Migräne, Allergien, Osteoporose, Magen-Darm-Schleimhauterkrankungen, Nerven-, Muskel- und Gelenkschmerzen angesehen. Die allgemeine Empfehlung der Naturheilkunde: Eine Umstellung der Ernährung auf basenbildende Kost mit hohem Anteil an Rohkost, Gemüse und Obst und wenig tierischen Eiweißen.
Häufig raten Naturheilkundler zur gleichzeitigen Einnahme von Basenpulvern. Erstens ist es aber ein Trugschluss zu glauben, Ernährungssünden können dadurch ganz einfach und ohne Folgen ausgeglichen werden. Zweitens ist Basenpulver nicht gleich Basenpulver. Es lohnt sich und ist dringend zu empfehlen, vor dem Kauf den Beipackzettel genau zu studieren. «Einige Produkte schaden sogar mehr, als sie nutzen», warnt zum Beispiel Prof. Dr. Ingrid Gerhard. Die Frauenärztin mit dem Schwerpunkt Naturheilkunde gab den «Gesundheits-Nachrichten» im Interview Antwort auf wichtige Fragen.
Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, freiberuflich tätig in Heidelberg. Tätigkeitsschwerpunkte Komplementäre Heilmethoden (Naturheilkunde, Komplementärmedizin) und Umweltmedizin bei Frauen, wissenschaftliche Überprüfung komplementärer Heilverfahren, Zusammenführung von Naturheilkunde und Schulmedizin
GN (Alexandra Roder): Viele Basenpulver bestehen aus Natriumhydrogenkarbonat (Natron). Können Sie solche Produkte empfehlen?
Prof. Ingrid Gerhard (IG): Nein. Natron reagiert mit der Salzsäure des Magens zu Kochsalz. Kochsalz kann den Blutdruck, das Magenkrebs- und das Nierensteinrisiko erhöhen. Nach der übermässigen Alkalisierung erhöht der Magen reaktiv wieder die Säureproduk-tion. Dies schädigt die Magenschleimhaut. Besonders bei Menschen mit zu niedrigem Magensäuregehalt können gefährliche Bakterien die Säurebarriere des Magens überwinden und sich im Magen-Darm-Trakt ansiedeln.
GN: Also Produkte mit Natron grundsätzlich meiden?
IG: Nicht unbedingt. Infusionen durch einen erfahrenen Azidose-Therapeuten können eine sinnvolle vorübergehende Hilfe sein. Denn das Hydrogenkarbonat gehört ins Blut und nicht in den Magen-Darm-Trakt.
GN: Wie wirkt Kalziumkarbonat?
IG: In den häufig verwendeten hohen Mengen zur Entsäuerung belastet es den Darm. Vom Körper aufgenommen werden Karbonate nur, wenn der Mensch genug Magensäure hat. Der regelmäßige Verzehr von hochalkalischen Basenmitteln wie Natron und Kalziumkarbonat schädigt auf Dauer die Dickdarmflora. Durch die verstärkte Ammoniakbelastung der Leber wird der Teufelskreis der Azidose nicht unterbrochen, sondern auf Dauer sogar gefördert.
GN: Welche Basenmittel empfehlen Sie?
IG: Zitrat-Basenmittel wirken im Zellstoffwechsel und schonen den Magen-Darmtrakt. Die Zitrate füllen den Zitratzyklus als zentralen Stoffwechselweg des Energiehaushalts auf und eliminieren dabei jeweils drei Säuremoleküle. Ein optimales Basenmittel enthält Kalium-, Magnesium- und Kalziumzitrat, Zink (essentiell für das Entsäuerungsenzym Carboanhydrase), Silizium (für das Bindegewebe) und Vitamin D (für die Kalzium- und Magnesiumaufnahme) in einem ausgewogenen Verhältnis. Grundsätzlich sollte nur ergänzt werden, was in der Ernährung zu kurz kommt. Hierzu gehören ernährungsbedingt relativ häufig organische Basen wie Zitrat, Kalium, Magnesium, in gesundem Masse Kalzium (keine Hochdosis-Supplementierung).
GN: Warum werden dennoch vor allem die weniger günstigen Stoffe in Basenpulvern verwendet?
IG: Der Grund ist einfach: Sie sind in der Herstellung sehr preiswert. Die genannten, besser Magen-Darm-verträglichen und bioverfügbaren organischen Verbindungen kosten im Gegensatz zu den anorganischen Substanzen das Zwei-bis Fünffache. Im Übrigen enthalten viele Basenmittel unnötige Hilfsmittel, für die Sie oft ein Vielfaches im Vergleich zu reinen Zitrat-Mischungen zahlen.
GN: Welchen Personen empfehlen Sie die Einnahme von Zitrat-Basenmitteln ganz besonders?
IG: Klinische Studien zeigen, dass Zitrat-Basenmittel die Knochen von Frauen in der Postmenopause stärken, die Schmerzen von Patienten mit rheumatoider Arthritis und chronischen Rückenschmerzen lindern und Nierensteinleiden entgegenwirken. Kalium und Magnesium sind dabei vor allem zur Normalisierung des Blutdrucks und Herzrhythmus wichtig. Gleichzeitig sollte der Natriumverzehr eingeschränkt werden.
GN: Als gute Alternative zum Basenpulver gilt die rechtsdrehende Milchsäure?
IG: Rechtsdrehende Milchsäure trägt schonend und effizient dazu bei, das Säure-Basen-Gleichgewicht zu regulieren. Sie kommt natürlich im menschlichen Organismus vor, kann deshalb optimal aufgenommen werden und schafft ein Milieu, in dem nur säureresistente Milchsäurebakterien wachsen können. Dadurch kommt ihr eine Schutzfunktion für die Darmschleimhaut zu.
GN: Welche Maßnahmen sollten zusätzlich getroffen werden?
IG: Ganz wichtig ist die Ernährung. Gemüse sollte als Basenlieferant an erster Stelle stehen. Es sollte 70 Prozent des Speiseplans ausmachen. Ebenfalls eine große Rolle kommt der Darmpflege zu. Durch eine Darmsanierung kann das gesunde, leicht saure Darmmilieu wiederhergestellt werden. In einem sauren Dickdarm wird das gasförmige Ammoniak, das den Energiestoffwechsel in der Leber massiv belastet, als ungiftiges Salz ausgeschieden. Die Leber kann wieder entsäuern, und der Energiestoffwechsel wird befreit. Auch sollte auf ausreichend Bewegung, Entspannung und guten Schlaf geachtet werden.