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ADHS

Manche Kinder sind anders

Der achtjährige Lukas ist nicht verzogen oder einfach ein «anstrengender Bub». Er könnte zu der Gruppe von Kindern gehören, die ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) haben. Das Wortungetüm bezeichnet eine Verhaltensstörung, die immer stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät und betroffenen Kindern und ihren Familien das Leben schwer macht.

A-D-H-S?

Die Abkürzung ADHS fasst Auffälligkeiten wie starke Konzentrationsschwächen, leichte Ablenkbarkeit und geringes Durchhaltevermögen, motorische Unruhe,übermäßige Aktivität und mangelnde Impulskontrolle zusammen.Von einer Aufmerksamkeitsdefizit-Störung (ADS) wird gesprochen, wenn ein Kind länger als sechs Monate in Gruppensituationen wie Kindergarten oder Schule ein ausgeprägt unaufmerksames Verhalten an den Tag legt. Diese Kinder sind leicht ablenkbar und verträumt und vergessen viel. Trotz bester Absichten geht ihnen vieles immer wieder einfach schief.Sie sind schnell gekränkt und weinen leicht, haben aber oft Schwierigkeiten im Umgang mit Altersgenossen, weil sie selbst scheinbar rücksichtslos in deren Spiele eingreifen, unterbrechen und dazwischenreden.

In der Schule fallen sie auf, weil sie zu langsam arbeiten, häufig ihre Hefte und Stifte verlegen oder vergessen und den Unterricht stören.Kommt ein ständiger Bewegungsdrang hinzu, wird von der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gesprochen. Die Kinder zappeln mit Händen und Füßen herum, können kaum einmal ruhig sitzen bleiben und handeln oftmals unberechenbar.

In der Schweiz wurde dieser Komplex von Verhaltensstörungen auch als psychoorganisches Syndrom (POS) bezeichnet. Die Liste von «Symptomen» ist noch sehr viel länger – und sie fällt bei jedem einzelnen Betroffenen ganz unterschiedlich aus. Manche sind nur unaufmerksam und unkonzentriert, manche fallen hauptsächlich durch ihr stark impulsives und unkontrolliertes Handeln auf. Das «typische» Zappelphilippverhalten tritt bei einem Drittel der Kinder gar nicht auf.

Eine Modekrankheit?

Die Häufigkeit von ADHS bei Kindern und Jugendlichen wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Manche selbst ernannten Experten erschrecken Eltern und Lehrer mit Zahlen von bis zu 25 Prozent. Andere wiederum warnen, die Hälfte der ADHS-Diagnosen sei sowieso falsch.Realistischere Schätzungen von Kinderpsychologen und Medizinern besagen, dass weltweit etwa vier bis acht Prozent der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen betroffen sind. Jungen leiden häufiger an der Störung als Mädchen. Auf drei bis sechs aufmerksamkeitsgestörte oder hyperaktive Buben kommt nur ein Mädchen. Warum, ist bislang offen. ADHS ist jedoch keine Modediagnose oder Zeiterscheinung. Der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann beschrieb 1847 die Symptomatik des «Zappelphilipps» in seinem «Struwwelpeter». Von bekannten Persönlichkeiten wie Wilhelm Busch, Thomas Edison, John F. Kennedy, Marylin Monroe, Harry Belafonte und Steven Spielberg wird angenommen, dass sie an ADHS-Symptomen leiden oder litten und zeitlebens damit kämpften.

«Es gibt nicht mehr Kinder mit ADHS, sie fallen nur mehr auf», sagt die Kinderpsychologin Cordula Neuhaus. Das wird zum einen darauf zurückgeführt, dass die Diagnosemöglichkeiten sich verbessert haben, das Krankheitsbild bekannter ist und ADHS größere Beachtung geschenkt wird. Andererseits wird der Aktionsradius von Kindern in einer auf Erwachsenenbedürfnisse ausgerichteten Gesellschaft immer geringer, sie haben weniger Freiräume zur Verfügung. In einer reizüberfluteten, leistungsorientierten Gesellschaft sind die Kinder häufig überfordert. Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung sind in besonderem Maße durch Stress und übermäßige Stimulation der Sinne erregbar und störbar.

Für Kinder und Eltern quälend

Eltern, deren Kind möglicherweise ADHS hat, stecken oft in der Klemme. Die  Tagträumerei, die Vergesslichkeit, die ständige Unruhe, die niedrige Frustrationstoleranz des Kindes machen es den Eltern nicht leicht, den Alltag mit ihm zu bewältigen. Eltern und Lehrer können nicht nachvollziehen, was in dem Kind vorgeht, was es antreibt oder bremst.Aber auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen leiden oft sehr unter ihrem eigenen Verhalten. Meist haben sie den innigen Wunsch nach einem Leben ohne ständiges Anecken und wünschen sich, endlich verstanden, geliebt und anerkanntzu werden. Sie nehmen sich immer wieder vor, in der Schule aufzupassen, folgsam und fleißig zu sein, andere Kinder nicht mehr zu ärgern, für Eltern und Lehrer ihr Bestes zu tun – aber sie haben keinen Erfolg damit.Im Laufe ihrer Entwicklung machen sie dadurch viele negative Erfahrungen. Das Gefühl, missverstanden und abgelehnt zu werden, beim besten Willen nichts richtig machen zu können, nagt an ihrem Selbstwertgefühl. Je mehr Misserfolge sie erleben, je weniger Anerkennung sie erfahren, desto mehr werden sie entmutigt. So dreht sich die Spirale der negativen Erfahrungen immer schneller.

Kreative Kinder mit Tempo

Was oft übersehen wird: In den vermeintlich negativen Eigenschaften steckt eine überaus positive Seite. Auch wenn die Aufmerksamkeit bei Schul- und anderen Routineaufgaben sehr schnell nachlässt, haben Kinder mit ADHS oft die Fähigkeit, Interessantes und Neues besonders gut zu erfassen.Sie besitzen einen Blick für Details, die von anderen leicht übersehen werden.Sie sind einfallsreich, spontan und kreativ. Ihre Impulsivität setzt sich um in die Energie, Dinge in Gang zu setzen. Sie haben sehr oft eine außerordentliche Fähigkeit zu verständnisvollem Mitgefühl. Das äußert sich auch in großer Natur- und Tierliebe sowie einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Die Liste der «historischen ADHS-Patienten» neben den bereits genannten, die von Mozart bis Einstein reicht, von Theodore Roosevelt bis Hermann Hesse, illustriert diese Eigenschaften. Die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren schilderte ihre eigenen Erfahrungen in ihren liebenswerten Figuren Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga.

Ursachenforschung 

Das Thema ADHS ist unter anderem deshalb so schwierig, weil man bis heute weder die genauen Ursachen kennt noch die Symptome zweifelsfrei abgrenzen kann. Wahrscheinlich spielen bei der Ausprägung der ADHS-Symptome mehrere Faktoren eine Rolle.Neuere Forschungsergebnisse legen nahe, dass ADHS in gewissem Masse erblich beeinflusst sein kann. Experten sind sich auch im wesentlichen einig, dass es sich bei der Erkrankung um eine neurobiologische Störung im Bereich der Stammganglien und des Frontalhirns handelt. Diese Gehirnabschnitte sind für Aufmerksamkeit, Ausführung und Planung, Konzentration und  Wahrnehmung verantwortlich. Liegt dort eine Beeinträchtigung vor, kann das Gehirn innere und äußere Reize und Impulse nicht so gut filtern und bekommt Schwierigkeiten, Wichtiges von Unwichtigem trennen. So tritt schnell eine Reizüberflutung ein.

Es wird angenommen, dass bei ADHS bestimmte Botenstoffe nicht optimal wirken. Dies sind so genannte Neurotransmitter, die Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten weiter leiten. Man vermutet, dass bei ADHS-Patienten ein Mangel an den Neurotransmittern Dopamin und Noradrenalin vorliegt. Dies ist jedoch nur ein Rückschluss aus der Tatsache, dass Dopamin-freisetzende Medikamente die Aufmerksamkeitsstörungen lindern. Kritiker merken hierzu an, dass kein Mensch aus der Wirkung von Aspirin bei Kopfschmerzen einen Aspirin-Mangel ableiten würde. Andererseits ist Aspirin kein körpereigener Stoff – während man von Dopamin und Noradrenalin weiß, dass der Körper sie produziert und braucht, weil sie unter anderem Aufmerksamkeit, Antrieb und Motivation steuern. Auf eine verminderte Aktivität im Frontalhirn deuten auch Veränderungen im Glukose-Stoffwechsel hin: bei Menschen, die ADHS-Symptome aufweisen, wird in dieser Region weniger Glukose umgesetzt und somit weniger Energie bereitgestellt.

Weitere Studien, die teilweise aber nur an sehr wenigen Kindern durchgeführt wurden, geben Hinweise darauf, dass in bestimmten Hirnarealen eine Minderdurchblutung vorliegt und Größenunterschiede dieser Hirnregionen im Vergleich zu «normalen» Kindern festzustellen sind. Betroffen sind auch hier Bereiche, die die Aufmerksamkeit regeln und das impulsive Verhalten kontrollieren. Die Unwissenheit über die Ursachen von ADHS führte leider auch dazu, dass früher häufig die «Schuldfrage» gestellt wurde. Haben nicht die Eltern versagt, wenn Kinder hyperaktiv und aufmerksamkeitsgestört sind? Heute gilt als sicher, dass ADHS nicht durch Fehler in der Erziehung oder ein niedriges Intelligenzniveau hervorgerufen wird. In der Diskussion steht jedoch, ob schlechte Erfahrungen des Kindes oder sogar kindliche Traumata die Ausprägung des Erscheinungsbildes verstärken können.

Schwierige Diagnose

Zweifellos sind immer noch große Lücken im Verständnis der Erkrankung vorhanden. Das macht es umso schwerer, eine präzise und richtige Diagnose zu stellen. Kritiker bemängeln, dass ADHS viel zu häufig festgestellt werde. Eine aktuelle amerikanische Studie ergab tatsächlich, dass bei jedem zweiten Kind, dem ADHS attestiert und das aus diesem Grunde medikamentös behandelt wurde, die Diagnose nicht stimmt. Genau so gut könnte man aber sagen, dass die – genaue und fundierte – Diagnose zu selten gestellt wird. Liegt die Erkrankung nämlich wirklich vor, haben betroffene Kinder und ihre Familien nur mit der richtigen Behandlung und Unterstützung eine Chance auf ein besseres Leben.Eltern, die vermuten, ihr Kind könnte eine solche Störung haben, sollten sich daher auf jeden Fall an einen auf diesem Gebiet erfahrenen Arzt (Kinderarzt, Neurologen), Psychologen oder ein sozialpädiatrisches Zentrum wenden. Elterninitiativen und Selbsthilfegruppen können zusätzliche Informationen geben. Einen spezifischen «ADHS-Test» gibt es nicht. Eine sorgfältige und genaue Diagnose ist daher relativ zeitaufwendig. Dazu gehören Informationen aus unterschiedlichen Quellen – Beobachtungen und Berichte über die Entwicklung des Kindes von den Eltern und vom Fachpersonal in Kindergärten und Schulen. Tests zu Konzentration und Aufmerksamkeit können bei der Diagnose helfen, ebenso Verhaltensbeobachtungen in mindestens zwei Situationen, die für den Alltag des Kindes typisch sind. Bei Bedarf können dann neurologische und neuromotorische Untersuchungen folgen. Die Unwissenheit über die Ursachen von ADHS führte leider auch dazu, dass früher häufig die «Schuldfrage» gestellt wurde. Haben die Eltern versagt, wenn Kinder hyperaktiv und aufmerksamkeitsgestört sind?

Nicht jeder Zappelphilipp hat ADHS   

Experten stellen auch deutlich fest, dass nicht jedes unruhige oder verträumte Kind ein ADHS-Patient ist. Die «Symptome» Impulsivität, Hyperaktivität und gestörte Aufmerksamkeit sind Dinge, die bei jedem Kind gelegentlich auftreten.Das «Forum Naturheilkunde» stellt daher lakonisch fest: «Eine Abgrenzung zu sehr lebhaften Kindern ist schwierig.» Eine Schweizer Internetseite zum Thema weist ausdrücklich darauf hin, dass «die Symptome sehr ausgeprägt sein, die persönliche Entwicklung nachhaltig behindern, über mindestens sechs Monate hinweg anhalten und sich in unterschiedlichen Lebensbereichen (Kindergarten, Schule, Freizeit, zu Hause oder am Arbeitsplatz) manifestieren müssen.»Die Auffälligkeiten bei ADHS sind zudem nicht sehr spezifisch und können auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Um so wichtiger ist eine sorgfältige Diagnostik.In jedem Falle sollte abgeklärt werden, ob Schilddrüsen- oder Lungenerkrankungen, Hirntumore, Hirnhautentzündungen, Kopfverletzungen, Durchblutungsstörungen oder Multiple Sklerose ausgeschlossen werden können. Auch Teilleistungsstörungen wie die Legasthenie können zu ähnlichen Beeinträchtigungen führen.

Spielt die Ernährung mit?

In den siebziger und achtziger Jahren wurden Thesen, die ADHS auf Nahrungsmittel oder Zusatzstoffe zurückführten, heftig diskutiert. Konservierungsstoffe, Zucker, Vitaminmangel oder Lebensmittelallergien wurden als «Schuldige» angeführt.Es konnte jedoch nie nachgewiesen werden, dass Kinder ADHS entwickeln, wenn sie bestimmte Lebensmittel zu sich nehmen oder sich der Zustand von Kindern mit ADHS durch solche Nahrungsmittel verschlechtert.Es gibt aber Untersuchungen, die bei ADHS gewisse Mängel in der Versorgung mit «Mikronährstoffen» feststellten. Darunter versteht man Stoffe, die zwar keine Energie liefern, aber für die Aufrechterhaltung von Stoffwechselfunktionen sehr wichtig sind: Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente wie z.B. Eisen oder Selen. Allerdings ließ sich bei ADHS-Patienten kein krankheitsspezifisches Muster an Mikronährstoff-Defiziten ermitteln. In etlichen Fällen kam es aber zu einer Minderung der Hyperaktivität oder einer Leistungsteigerung in der Schule, wenn die Kindern Stoffe wie Eisen, Zink, Selen oder bestimmte Aminosäuren als Nahrungsergänzung erhielten. Experten aus der Naturheilkunde empfehlen daher, beim Verdacht auf ADHS auch einen möglichen Mangel an Mikronährstoffen individuell durch gezielte Labordiagnostik abklären zu lassen.

Pillen allein helfen nicht

Leider ist es immer noch sehr häufig, dass die ärztliche Reaktion auf ADHS darin besteht, eine Medikation – und nur diese – zu verordnen. Oft machen Ärzte, Eltern und Lehrer dann zunächst auch positive Erfahrungen mit den durch das Medikament zugänglicheren Kindern. Professor Gerd Lehmkuhl,  Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Köln, mahnt jedoch: «Grundsätzlich sollten Kinder, die ein (ADHS-)Medikament erhalten, zusätzlich eine Therapie bekommen.» Andersherum sieht das z.B. ein ADHSKritiker,  Diplompsychologe Hans-Reinhard Schmidt: Für ihn ist die Therapie das wichtigste und kommt an erster Stelle, eine medikamentöse Behandlung erst unter «ferner liefen».Die meisten Experten sind sich einig, dass es zur Bewältigung der Alltagsschwierigkeiten, die Menschen mit ADHS haben, einer ganzheitlichen Behandlung bedarf. Mit Bewegungs-, Beschäftigungs- und Verhaltenstherapie sowie mit Elterntrainings hat man bereits gute Erfahrungen gemacht. Hausärzte und Kinderärzte, Psychotherapeuten, Lehrer und Eltern sollten eng zusammenarbeiten, um einen dauerhaften Therapieerfolg zu gewährleisten.Eltern, denen der Arzt kommentarlos ein Rezept in die Hand drückt, sollten daher unbedingt auf ein ganzheitliches Konzept drängen. Die «Behandlung» von ADHS sollte zum Ziel haben, dass Betroffene mit ihren Schwächen umgehen lernen und ihre Stärken ausbauen können.

Reizwort mit R

Ist tatsächlich ein Botenstoffmangel im Hirn die Hauptursache, liegt der Gedanke, in diesen Stoffwechselprozess einzugreifen, ja gar nicht so fern. Es gibt eine Gruppe von Wirkstoffen, die als Methylphenidate bezeichnet werden und eine Wirkung auf den Botenstoff Dopamin ausüben. Sie gehören, wie andere ADHS-Medikamente zu den Amphetaminen. Das sind stimulierende Stoffe, die wegen dieser Eigenschaft auch teilweise in der Drogenszene gehandelt werden. In der Kinder- und Jugendmedizin ist dieses Medikament mit dem großen R ein heißes Eisen. Für viele ist es schon Besorgnis erregend, dass Stimulanzien unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Es bestehen Befürchtungen, die Stoffe könnten abhängig machen oder Folgekrankheiten auslösen. Nicht zuletzt wird Eltern auchhäufiger vorgeworfen, sie wollten ihre anstrengenden Kinder mit den Psychopillen «ruhig stellen».Andere dagegen sehen das Medikament als wirksamen Ausweg, um den rastlosen Sprösslingen zumindest zeitweise zu besserer Konzentration und auch sozialer Kompetenz zu verhelfen. Tatsächlich wird häufig festgestellt, dass Methylphenidate eine positive Wirkung haben. Sie wirken bei ADHS-Symptomen nicht etwa als aufputschende Droge, sondern als «hilfreiche Brille». Die kindlichen Patienten berichten, dass die Stimulanzien ihnen endlich wieder eine klare Sicht der Dinge ermöglichen. Sie wirken nach der Einnahme ruhiger, aber nicht, weil sie sich ruhig gestellt fühlen, sondern weil sie sich besser auf ihre Tätigkeiten konzentrieren können.

Kritik an medikamentöser Behandlung

R. und ähnliche Drogen werden seit den 50er Jahren verordnet. Die Verschreibungen haben jedoch deutlich zugenommen, besonders in den letzten 10 Jahren. Dass sogar Zahnärzte angeblich Ritalin (nach einer Drei-Minuten-Diagnostik?) verordnen, muss tatsächlich bedenklich stimmen. Wird dann noch festgestellt, dass diese Verschreibungen in der Hälfte aller Fälle völlig fehl am Platze sind, ist ein gesundes Misstrauen gegenüber leichtfertiger Medikation sicherlich angesagt.Andere Vorbehalte gegen Ritalin & Co. sind jedoch nicht unbedingt gerechtfertigt.

ADHS-Patienten sind suchtgefährdet. Es kommt vor, dass sie schon recht früh eine Alkohol- oder Nikotinabhängigkeit entwickeln. Daher fürchtete man zunächst, dass die Behandlung mit stimulierenden Drogen ein Risiko für einespätere Sucht sein könnte.

Neuere Untersuchungen weisen jedoch in eine andere Richtung. Heute vermutet man, dass die Gabe von Methylphenidat nicht zu einer Abhängigkeitsentwicklung führt oder beiträgt. Vielmehr scheint sie das Risiko für eine frühzeitige Nikotin-, Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit zu verringern. Auch die Befürchtung, Ritalin könne im Erwachsenenalter zu Parkinson führen, ist bislang nicht belegt. Versuche des Göttinger Neurobiologen Prof. Gerald Hüther an Ratten führten 2002 zu dieser Warnung. Hüther wurde dann seinerseits kritisiert, da seine Tests sich nur auf fünfTiere bezogen und damit kaum Aussagekraft hatten. Seitdem fand man keine Hinweise auf ein verstärktes Auftreten von Parkinson bei ADHS-Patienten. Allerdings sind auch die Langzeitwirkungen von Ritalin noch nicht ausreichend erforscht. So ist es umso wichtiger, alternative Möglichkeiten wie eine homöopathische Behandlung in Betracht zu ziehen.

Wie vorsichtig man mit synthetischen Medikamenten umgehen sollte, zeigt auch der Fall einer lang erwarteten Alternative zu Ritalin. Der Wirkstoff Atomoxetin (Handelsname Strattera®) kam erst kürzlich auf den Markt. Er gehört nicht zu den Stimulanzien und fällt somit nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Inzwischen aber muss die Produktinformation von Strattera® auf Anweisung der EU-Arzneimittelbehörden einen Warnhinweis enthalten, dass das Mittel in einzelnen Fällen Selbstmordgedanken oder Suizidversuche sowie aggressives oder feindseliges Verhalten begünstigen oder auslösen kann.Auch «alternative» Mittel können ungeeignet sein. So wurde bei ADHS auch die Behandlung mit der AFA-Alge propagiert. Diese enthält aber Stoffe, die Leber und Nervensystem nachhaltig schädigen können. Besonders bei Kindern kann die Wirkung lebensbedrohlich sein. Das kanadische Gesundheitsministerium warnte bereits vor der Einnahme solcher Algenpräparate.

Homöopathie hat Erfolge

Ein interdisziplinäres Forscherteam der Universität Bern unter der Leitung von Dr. med. Heiner Frei führte von 2001 bis 2005 eine Studie an Kindern mit einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom durch. Nach neurologischen und  neuropsychologischen Untersuchungen wurden die Kinder mit einer eindeutigen Diagnose an einen homöopathischen Arzt weitergeleitet, der ein individuell geeignetes Medikament aussuchte. Bei den 62 Kindern, die positiv auf dashomöopathische Mittel reagierten, wurde anschließend in einem Doppelblindversuch die Wirkung gegenüber einem Placebo geprüft. Die Wissenschaftler stellten fest, dass mit der richtigen homöopathischen Medikation Symptome wie Hyperaktivität, Impulsivität und Ängstlichkeit um 37 bis 63 Prozent abnahmen. Das Lernverhalten der Kinder besserte sich, und die positive Wirkung dauerte langfristig an.Sie kommen zu dem Schluss, dass die Homöopathie auch bei ADHS eine wirksame und zweckmäßige Alternative darstelle. Allerdings brauche die individuelle Mittelfindung in der Regel eine Einstellzeit von mehreren Monaten.Die Homöopathie betrachtet den ganzen Menschen und sein Umfeld und nicht nur seine Symptome. Das spielt bei ADHS eine ganz besonders wichtige Rolle.

Was tun mit Lukas?

Eltern von Traumsusen und Zappelphilippen führen oftmals ein ziemlich aufreibendes Leben. Ob nun die Ursache für das Verhalten ihres Kindes ADHS ist oder nicht, Beratung und Hilfe brauchen sie allemal. Der erste Schritt ist, sich an kompetente Fachleute zu wenden. Der ADHS-Spezialist Russell Barkley empfiehlt, Kinderärzte, Psychologen oder Sozialpädagogen direkt zu fragen: «Haben Sie oft mit Kindern mit ADHS zu tun? Kennen Sie sich mit der Behandlung aus?» und sicheinen anderen Spezialisten zu suchen, wenn derjenige, den man fragt, sich angegriffen fühlen sollte.Eine sorgfältige Beratung, Diagnose und das Ausschließen anderer Erkrankungen sind sehr wichtig. Dann können auch betroffene Eltern ihrerseits aufklären: oft genug sind sie ja mit Vorwürfen konfrontiert, sie erzögen ihr Kind einfach falsch,dem Buben fehle nur eine strenge Hand oder er müsse einfach mal lernen, sich zusammenzureißen.

Für das weitere Vorgehen rät Barkley, sich klar zu erkundigen, welche Behandlungsmethoden routinemäßig eingesetzt werden und es anderswo zu versuchen, wenn das nicht die Methoden sind, die Sie angewendet wissen wollen.Ob Sie sich für Medikamente wie Ritalin® oder für Homöopathika entscheiden: zu einem ganzheitlichen Ansatz gehört auch eine therapeutische Behandlung. Dr. med. Doris Ryffel-Rawak, die in der Schweiz hauptsächlich mit erwachsenen Betroffenen arbeitet, empfiehlt eine Verhaltenstherapie, die familiäre und soziale Interaktionen trainiert, das Selbstwertgefühl aufbaut und Hilfestellung beim Üben von Aufmerksamkeit und Konzentration bietet. Wird die ganze Familie in eine Therapie einbezogen, können auch Eltern Entlastung finden. In so genannten Elterntrainings können sie zudem lernen, auf das Verhalten ihres Kindes angemessen zu reagieren. In der Schweiz wie in Deutschland gibt es Selbsthilfegruppen und Vereine, die Adressen vermitteln und Hilfe anbieten.

Selbsthilfegruppen und Vereine

Selbsthilfegruppen und Vereine in der Schweiz:

Elpos: Dachverband der regionalen Elternvereinefür Kinder und Jugendliche mit POS/ADHS www.elpos.ch

G-ADS: Interessengruppe Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom bei Erwachsenen c/o Astrid Wälchli Staldenstraße 10 CH: 3322 Urtenen  www.igads.ch/

Selbsthilfegruppen und Vereine in Deutschland:

Bundesverband Aufmerksamkeitsstörung/Hyperaktivität e.V. (BV-AH) Postfach 60 DE-91291 Forchheim Tel: (09191) 70 42 60 www.bv-ah.de

Arbeitskreis Überaktives Kind e. V.

Bundesgeschäftsstelle Postfach 410724 DE-12117 Berlin Tel. 030 85 60 59 02 www.bv-auek.de