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Stress

Der Stressfalle entkommen

Stress hat viele Auswirkungen. Die Symptome sind dabei manchmal so belastend und drängend, als ginge es ums Leben. Wir sind in Alarmbereitschaft. So war es von der Natur gedacht: Bei Gefahr richtet sich alles im Körper auf Kampf oder Flucht ein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Auf Europas Strassen laufen keine wilden Bären mehr frei herum und bedrohen unser Leben – auch wenn Autofahren durchaus zum Stresserlebnis werden kann. Wir spüren die gleichen Symptome, obwohl wir nur im Stau stehen, ein paar Akten sehen oder unser Blick auf den Kalender fällt, der ein bestimmtes Datum zeigt.

Stress-Symptome

Stress beginnt da, wo Sie sich einer Situation ausgeliefert fühlen. Sie haben dann das Gefühl: «Ich bekomme es nicht mehr in den Griff» und reagieren mit körperlichen Signalen. Das Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, der Mund wird trockener, und Sie be-kommen physisch und psychisch einen so genannten «Tunnelblick». Der Tunnelblick zeigte unseren Vorfahren, wo der Ausgang, der Weg für die Flucht ist.

Heute erschwert es uns gerade dieser Tunnelblick, möglichst kreative Lösungen zu finden. Stress macht sich in uns breit, und auch wenn die Anspannung bereits vorüber ist, kann es sein, dass wir noch immer angespannt reagieren. Körper und Seele brauchen eine gewisse Zeit, bis sich die gesunde Körperspannung wieder eingependelt hat.

Guter oder schlechter Stress?

Nehmen wir einmal an, ein grosses Fest stünde Ihnen bevor, ein Fest, auf das Sie sich freuen. Sie müssen einkaufen, Einladungen verschicken und die Anzahl der Übernachtungen planen. Alles ist ganz schön hektisch.

Sie spüren so etwas wie «Stress», aber immer wenn Sie an das Fest denken, sind Sie fröhlich gestimmt. Auch das ist eine Form von Angespanntheit, diesmal aber positiver, so genannter Eustress. Er macht munter und erfolgsbereit. Der Gedanke an das Fest bringt Seele und Körper zum Klingen.

Anspannung, die Sie belastet und Ihnen die Luft zum Atmen nimmt, ist negativer Stress, in der Fachliteratur auch Distress genannt.

Ganz wichtig, wenn Sie unter Stress leiden: Sie können lernen, den negativen Stress in positiven zu verwandeln, etwa indem Sie neue Bedeutungen finden – von «Ich kann in diesem Grossraumbüro nicht arbeiten, diese vielen Menschen machen mich verrückt» zu «Gut, dass Menschen um mich sind. Ich kann von ihren Anregungen profitieren.»

Stress Mann Sofa

Wie Körper und Seele reagieren

Wenn wir unter unguten Stress geraten, sind Seele und Körper davon betroffen. Das Immunsystem schützt uns nicht mehr so gut, der Körper möchte uns am liebsten lahm legen. Wir reagieren mit Rückenproblemen, der Nacken ist verspannt, wir schlafen nicht mehr so gut, Gedankenkarusselle belasten uns auch in der Nacht. Es kommt zu einer höheren Konzentration von Adrenalin und Nor-adrenalin im Blut, was den Blutgefässen auf Dauer schadet.

In Stress-Situationen wird zudem ein bestimmtes Protein in den Zellen aktiv. Dieses Protein ruft Entzündungen hervor und bringt frühzeitige Abbauprozesse in Gang. Die Körperzellen altern früher.

Der physikalische Mensch

Das Wort «Stress» hatte ursprünglich nichts mit dem Menschen zu tun. Der kanadische Mediziner Hans Selye (1907-1982) übertrug das Phänomen aus der Physik auf den Menschen. Stress bedeutet physikalisch inneren oder äusseren Zug oder Druck auf ein Material. Übertragen gesehen: Auf einen inneren oder äusseren Druck müssen wir körperlich, seelisch oder geistig reagieren.

Wenn die Stresskugel ins Rollen kommt

Stress wird «ausgelöst», das bedeutet, es ist ganz konkret etwas vorhanden, was uns stresst. Faktoren, die Stress auslösen, werden Stressoren genannt. Neben zeitlichem und beruflichem Druck oder einem überaus wichtigen Projekt können auch Dinge wie Lärm, Enge oder zu volle Strassenbahnen, sogar das Klima, Stress auslösen.

Kann man mit genügend freier Zeit und Geld in der Tasche unter Stress geraten?

Und ob man das kann! Oder haben Sie das Wort Freizeitstress noch nicht gehört? Belastungen im Privatleben und am Arbeitsplatz, das tägliche Einerlei oder Monotonie – das alles kann Stress sein. Und jeder reagiert darauf anders: Ängstlich oder traurig, hilflos, ärgerlich oder hektisch, vielleicht auch mit vermehrtem körperlichen Unwohlsein.

Manche Menschen fühlen sich beispielsweise durch Zigarettenrauch in Kneipen gestresst. Etwas ist nicht gesund, nicht so, wie es sein soll. Zuerst spüren wir eine gewisse Sperrigkeit in uns, wir wollen uns wehren. Dann kann das Gefühl von Stress aber auch so stark werden, dass wir versuchen, uns mit Wutanfällen zu schützen. «Jetzt mach endlich diese Zigarette aus oder ich hau sie dir aus dem Mund!»

Wut tut nicht gut

Zu merken, dass uns etwas nicht gut tut, ist eine wunderbare Regelung des Körpers. Wenn Sie aber bis zum Eintritt eines Wutanfalls warten, haben sie den gesunden Wendepunkt überschritten. Sie ha-ben sich dann selbst übergangen, ob-wohl Ihr Stresspegel ständig stieg.

Der Wutanfall ist in diesem Fall mit dem Tunnelblick vergleichbar. Etwas früher wären noch andere Lösungen denkbar gewesen. Also: Lieber früher reagieren und eigene Bedürfnisse ernst nehmen!

Stress ist eine höchst persönliche Sache

Daher werden wir erst recht gestresst, wenn uns jemand väterlich rät: «Nun komm mal runter!» oder besserwisserisch fragt: «Warum lässt du dich so stressen?»

Aufforderungen zur Gelassenheit lassen den Stresspegel meist erst recht ansteigen. Es sind persönliche Einstellungen, Erwartungshaltungen, Ängste und Befürchtungen, die Stress auslösen.

Wenn Stress im Privatleben oder am Arbeitsplatz entsteht, liegt dies an verschiedenen Faktoren. Typische Stress-oren sind Überforderungen, z.B. durch die Doppelbelastung Beruf und Familie. Nicht selten bringen auch Auseinandersetzungen mit Partnern oder Kollegen jemanden so richtig in Stress.

Allgemeingültig ist aber: Unter Stress verliert man die Übersicht über die Belas-tungen. Daher ist der erste Schritt zur Stressbewältigung oft ein Hinschauen und Hinfühlen, was genau uns das Gefühl von Stress bereitet.

Das und die emotionalen Hintergründe können für jeden Menschen unterschiedlich aussehen. Deswegen kann uns zwar jemand bei einer fordernden Arbeit unterstützen, den Weg zu mehr Gelassenheit und einem stressfreieren Leben müssen wir aber alleine gehen. Wir selbst müssen unseren Stress «in den Griff bekommen».

Stressbewältigung

Allein zu wissen, dass es Stress gibt und wie er sich erklärt, macht die Sache noch nicht unbedingt leichter. Da Stress etwas sehr Individuelles ist, sind auch gute Beratungen eher massgeschneidert.

Neben dem Training von Entspannungsmethoden versuchen Stressberater, im Gespräch herauszufinden, welche Faktoren der Klient als belastend empfindet. Der Berater Bernd Görner setzt auf Telefoncoaching. «Stress», sagt er, «kann man nicht wegtelefonieren, aber viele Menschen, die unter Stress leiden, sind in übergeordneten Positionen und viel unterwegs. Telefonieren ist heutzutage von fast jedem Ort aus möglich. Manchmal geht es in diesen Telefongesprächen um die Lösung eines Problems, manchmal um eine Strategie. Ich kann mit den Klienten an einem Thema arbeiten, egal wo dieser Mensch gerade sitzt.»

Die Stressbewältigungs-Expertin Dr. Diana Drexler rät zu der Nutzung eines «Strausses an Möglichkeiten». In Ihrem Buch «Gelassen im Stress» führt sie den Leser durch verschiedene Situationen des Lebens und hilft, neue und entlas-tendere Einstellungen zu finden. Unter anderem sind folgende Punkte für Dr. Drexler wichtig:

Bewegung

Sich zu bewegen, an der frischen Luft zu sein, zu laufen, zu spazieren, Fahrrad zu fahren, ist eine der schönsten Möglichkeiten, wieder in die Ruhe zu kommen. Es ist nicht allein die Bewegung, die hier zählt. In der freien Natur erhellen vielfältige Eindrücke unser Gemüt und wirken positiv auf uns ein: Die frische Luft, das Zwitschern der Vögel, unsere Schritte auf dem Weg, der Geruch von Blättern, Moos und Pilzen … Ein Spaziergang zu zweit bietet die Möglichkeit zu einem längeren Gespräch oder stillem, aber vertrautem Miteinandersein. Nach einem Spaziergang fühlen sich viele Menschen gleich seelisch «aufgeräumter».

Grenzen und Unvollkommenheiten akzeptieren

Nicht alles im Leben ist beeinflussbar. Es kommt vor, dass man die Stelle verliert oder sie wechseln muss, manchmal sind wir krank und müssen darauf vertrauen, dass uns andere Menschen mit ihrem Wissen helfen.

Zu erkennen, dass wir nicht alles beeinflussen können, entlastet. Viele Menschen sind dann bereits in der Lage, ihren Möglichkeiten entsprechend, besser für sich zu sorgen und können auch bei anderen Menschen mal fünfe gerade sein lassen.

Gedankenschule

Das Glas kann halb leer oder halb voll sein, sicher kennen Sie diesen Spruch. Stress ist auch eine Sache des Kopfes. Negative Gedanken, belastende Selbsteinschätzungen, sich «in andere Köpfe denken» und diese zum Massstab ma-chen, sind Stressoren, die wir selbst beeinflussen können.

Hinwendung zur Lösung

Hamsterräder bringen nicht weiter – das liegt in ihrer Natur. Also die ewigen Gedankenketten besser unterbrechen. Wie könnte eine Lösung aussehen? Wer könnte mich unterstützen? Was kann ich bereits und was könnte ich noch lernen – das sind Gedanken, die aus dem Opfergefühl heraushelfen.

Zu guter Letzt

Nicht nur das Wetter, auch die Stimmungslagen eines Menschen sind wechselhaft. Es gibt gute und es gibt nicht so gute Tage. Manchmal entspannt allein schon das Wissen, dass man mit allem rechnen muss. Auch mit dem Guten!

Autorin: Christine Weiner