Immer mehr Menschen leiden an unheilbaren, chronisch verlaufenden Darmentzündungen, deren Symptome nur schwer zu lindern sind. Doch mit der richtigen Therapie, verträglicher Ernährung und viel Bewegung lässt sich oft ein fast normales Leben führen.
In den letzten Jahrzehnten wurde in den westlichen Ländern eine dramatische Zunahme entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa festgestellt. Während diese chronischen Krankheiten früher eher selten auftraten und meist erstmals im Alter zwischen 20 und 30 diagnostiziert wurden, leiden jetzt immer häufiger bereits Kinder unter den unangenehmen Symptomen. Ein zweiter, jedoch wesentlich kleinerer Erkrankungsgipfel liegt nach dem 60. Lebensjahr.
Weshalb mehr Menschen erkranken, weiss bis heute niemand, obwohl intensiv daran geforscht wird. Merkwürdigerweise erkranken die Bewohner von Städten und grossen Ballungszentren häufiger als früher, während in den ländlichen Gegenden die Häufigkeit unverändert blieb. Schätzungsweise sind zwei Prozent der Bevölkerung von diesen Leiden betroffen. Doch ganz gleich wie viele Menschen an Darmentzündungen leiden, für jeden Einzelnen ist das sehr belastend.
Von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) Betroffene leiden an heftigem Durchfall, der sie mehr als zwanzig Mal pro Tag zwingt, schnell auf die Toilette zu eilen. Das ist enorm einschneidend tagsüber, am Arbeitsplatz oder unterwegs. Aber auch nachts sind die Patienten sehr belastet, wird ihr Schlaf doch immer wieder durch den Drang, sich zu entleeren, gestört. Diese Episoden sind von starken Bauchschmerzen, Blähungen und Krämpfen begleitet. Teilweise leiden die Betroffenen gleichzeitig unter Übelkeit und Erbrechen; manchmal sind die Durchfälle sogar blutig.
Weil die Darmpassage dermassen schnell ist, bleibt der Schleimhaut nicht genügend Zeit, alle wertvollen Nährstoffe aufzunehmen. Die Kranken nehmen an Körpergewicht ab und sind zudem mangelernährt. Das lässt sich leicht im Blut nachweisen: Die Betroffenen haben zu wenig Eisen, Vitamine und Spurenelemente. Das macht sie müde und antriebslos.
Selten treten gleichzeitig Entzündungen an anderen Orten im Körper auf, an den Augen, in der Gallenblase, auf der Haut, Arthritis in den Gelenken oder als Aphten am Mund.
«Morbus» bedeutet in der medizinischen Fachsprache nichts anderes als «Krankheit». Es gibt eine ganze Reihe von Syndromen, die als Morbus bezeichnet werden: Allgemein bekannt sind z.B. der Morbus Parkinson oder der Morbus Bechterew.
Üblicherweise wird jedem Morbus der Name desjenigen Arztes angehängt, der die Krankheit erstmals beschrieben hat und somit als deren Entdecker gilt. So kam auch der Morbus Crohn zu seinem Namen: Die Entzündung der Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes wurde nach einem amerikanischen Magen- und Darmspezialisten benannt.
Die Schleimhaut des Mundes, der Speiseröhre, des Magens und des Darmes haben für die Verdauung unersetzbar wichtige Rollen und eine Beeinträchtigung deren Funktionen ist gravierend. Deshalb sind die Beschwerden umso grösser, je mehr Schleimhautabschnitte entzündet sind.
Während beim Morbus Crohn der ganze Verdauungstrakt entzündliche Veränderungen aufweisen kann, ist bei der Colitis ulcerosa nur die Schleimhaut des Dickdarms betroffen. Der Dickdarm heisst in der Medizinersprache «Colon», mit der Endung «-itis» wird immer eine Entzündung bezeichnet, weswegen wir auch von Bronchitis oder Rachitis sprechen.
In leichteren Fällen sind bei der Colitis nur die oberste Schleimhaut, die Mucosa, oder die gleich darunterliegende Submucosa entzündet. In fortgeschrittenen, schweren Krankheitsstadien frisst sich die Entzündung bis zu tiefliegenden Hautschichten durch. Diese Geschwüre nennt man Ulcus. Da sie das akute Stadium charakterisieren, erhält die Krankheit den Beinamen «ulcerosa». Von einer ausgebrannten Colitis spricht man, wenn die Darmschleimhaut weitgehend zerstört ist und ihrer Funktion, den Stuhl einzudicken, nicht mehr nachkommen kann.
Die Ursachen dieser beiden chronischen Darmentzündungen konnten noch immer nicht ans Licht des Wissens gebracht werden. Viele Hinweise deuten auf eine klassische Autoimmunerkrankung hin; andererseits könnten auch bakterielle Infektionen die Krankheit begünstigen. Wahrscheinlich spielt zudem die Genetik mit: Sowohl Morbus Crohn als auch Colitis ulcerosa kommen in gewissen Familien gehäuft vor, so dass sie möglicherweise von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Vielleicht spielt die Ernährung eine Rolle, vielleicht beeinflussen sogar Umweltfaktoren die Entstehung der Krankheiten – wie gesagt, leider weiss man das alles noch nicht so genau. Psychische Faktoren wie z.B. das Auftreten von Depressionen dagegen scheinen nicht Auslöser, sondern eher Folge der Erkrankung zu sein. Das Unwissen über die Ursachen verhindert eine erfolgreiche Vorbeugung und vermindert die Therapiemöglichkeiten.
Zu Beginn der Krankheiten vermuten sowohl Betroffene als auch deren Ärzte oft, es handle sich um eine harmlose Magen-Darm-Verstimmung. Die Symptome sind auf den ersten Blick nicht von einer leichten Lebensmittelvergiftung oder Darminfektion zu unterscheiden. Meist klingen sie auch rasch wieder ab.
Doch die lästigen chronischen Darmentzündungen verlaufen in sogenannten Schüben. Von Schüben spricht man in der Medizin, wenn sich im Krankheitsverlauf akute Symptome mit beschwerdefreien Zeiten abwechseln.
Ärzte nehmen immer eine Anamnese auf. Das heisst, sie fragen nach allen Symptomen und Begleiterscheinungen. Wie jeder Entzündungsprozess ist auch der bei Darmerkrankungen oft von Fieber und Schmerzen begleitet. Der Arzt wird deshalb in einer Blutprobe nach dem Hinweis auf eine Entzündung suchen und diese dann zweifelsfrei nachweisen können: Bei Entzündungen, gleich welcher Art, sind im Blut vermehrt weisse Blutkörperchen zu sehen, die Leukozyten.
In einem nächsten Schritt wird eine Darmspiegelung vorgenommen. Der Arzt kann mit einem Endoskop, einem biegsamen Gerät mit einer winzigen Kamera an der Spitze, das in den After eingeführt wird, die gesamte Schleimhaut des Dickdarms inspizieren. Dies ist eine eher unangenehme Diagnosemethode, doch oft noch immer notwendig. Mit Hilfe der Bilder aus dem Darminneren werden die Entzündungsherde aufgespürt. Manchmal entnehmen die Darmspezialisten auch Gewebeproben und untersuchen diese auf mögliche entzündliche Veränderungen.
Neue technische Errungenschaften werden in unserer Gesellschaft jeweils kritisch unter die Lupe genommen, und viele warnen vor den noch nicht abschätzbaren Folgen. Zu diesen neuen Techniken gehört auch die Nanotechnologie, die sich durch ihre Kleinheit auszeichnet. «Nano» ist Griechisch für «Zwerg», und tatsächlich sind Nanoprodukte winzig klein. Das erleichtert die Diagnose von entzündlichen Darmerkrankungen sehr. Während früher immer mittels Darmspiegelung die Entzündungsherde diagnostisch entdeckt und der Verlauf beobachtet werden mussten, reicht es heute oft, eine kleine Kapsel zu schlucken. In dieser Kapsel steckt eine winzige Kamera, die während dem gesamten Verdauungsvorgang Tausende von Aufnahmen schiesst. Am Anus angekommen, wird die Kamera problemlos mit dem Stuhlgang ausgeschieden.
Entzündliche Darmerkrankungen sind nicht heilbar, und das Ziel jeder Therapie ist, die Beschwerden zu lindern und schwerwiegenden Folgen vorzubeugen. Während den akuten Schüben steht die Hemmung der Entzündung im Vordergrund. Alle entsprechenden Medikamente, besonders Cortison, sind nicht frei von Nebenwirkungen und können nicht ohne Schädigung über längere Zeit eingenommen werden. Deshalb sind die Forscher unentwegt auf der Suche nach besseren Behandlungsmethoden.
Die neueste Medikamentengruppe, die in Entwicklung ist, gehört zu den Biopharmaka, die auch Biologicals oder Biologika genannt werden. Dabei handelt es sich um Medikamente, die mit Hilfe der Biotechnologie hergestellt werden. Es sind gentechnisch hergestellte Eiweisse, die die Funktion von körpereigenen Strukturen aktivieren oder hemmen und dadurch eine therapeutische Wirkung ausüben. Bei Morbus Crohn werden beispielsweise gentechnisch erzeugte Zytokine oder auch Antikörper eingesetzt. Auch diese neuen pharmazeutischen Produkte sind durchaus umstritten, für Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen sind sie jedoch ein Hoffnungsschimmer am Horizont der Unheilbarkeit.
Ein weiterer Hoffnungsschimmer scheint ungewöhnlich und befremdlich. Die Patienten sollten nämlich Eier des Schweinepeitschenwurmes zu sich nehmen. Würmer verursachen uns keine guten Gefühle, sondern sind mit Ekel und Abscheu verbunden. Tatsächlich ist auch der Schweinepeitschenwurm Trichuris suis ein lästiger Parasit. Er gehört zu den Nematoden oder Rundwürmern, einer der artenreichsten Tiergruppen der Welt. Er ist ein Vertreter der Familie der Peitschenwürmer, die Biologen Trichuridae nennen. Der vordere Teil ihres Körpers ist so dünn wie ein Faden, was an eine Peitsche erinnert. Fast alle Wirbeltiere haben ihren «eigenen» Wurm: Es gibt einen Trichuris der Schafe, einen der Ratten, der Hunde, der Affen oder eben der Schweine. Alle diese Fadenwürmer sind streng wirtsspezifisch. Das heisst, sie leben wirklich nur in dem Darm ihres eigenen Wirtes. Aus diesem Grund sind die nur wenige Millimeter grossen Schweinepeitschenwürmer für den Menschen ungefährlich, überleben nur kurze Zeit und werden bald wieder ausgeschieden.
Der weibliche Schweinepeitschenwurm gibt seine Eier im Darm des Wirtes ab; mit dem Kot gelangen sie in die Umwelt. Frisst ein anderes Schwein mit diesen Eiern verseuchte Nahrung, beginnt ein neuer Zyklus. Aus den Eiern werden Larven, aus diesen wiederum Würmer. Das befallene Schwein hat ganz ähnliche Symptome wie Menschen mit Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn: Es bekommt nämlich starken Durchfall und Bauchkrämpfe.
Das ist auch der Grund, weshalb ein Forscherteam in den USA auf die Idee kam, mit Trichuris-Eiern zu experimentieren. Die Mediziner gingen von der Annahme aus, dass beide entzündliche Darmerkrankungen Autoimmunerkrankungen sind. Das bedeutet, dass das eigene Immunsystem die Darmwand angreift. Sie vermuteten weiter, dass deswegen heute mehr Menschen an Autoimmun-erkrankungen leiden, weil wir in einer fast sterilen Umgebung leben und das Immunsystem zu wenig parasitäre Gegner hat. Das führe zu einer überschiessenden Reaktion gegen die eigenen Zellen.
Gibt man nun dem Abwehrsystem eine neue Aufgabe, so die Annahme, lässt es von den eigenen Darmzellen ab. Die Eier des Schweinebandwurmes machen den Menschen zwar nicht krank, er bemerkt von der Einnahme praktisch nichts; aber das Immunsystem wittert dennoch Gefahr und greift an.
Erste Studien mit den Trichuris-Eiern zeigten vielversprechende Resultate. Die Studienteilnehmer hatten bei der regelmässigen Einnahme von ungefähr 2500 unsichtbar kleinen Wurmeiern längere beschwerdefreie Intervalle und weit weniger häufig Rückfälle. Darüber hinaus litt keiner der Probanden unter irgendwelchen Nebenwirkungen, was von den herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht immer behauptet werden kann.
Leider ist eine europaweite Studie zur Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen mit dem Schweinepeitschenwurm inzwischen vorzeitig beendet worden. Als Grund wurde unter anderem angegeben, dass Patienten der Placebogruppe ebenso gut auf den wirkungslosen Stoff angesprochen hätten wie die Gruppe der Kranken auf die Therapie mit Trichuris-Eiern. Bei beiden Gruppen konnte ein kontinuierlicher Abfall des Entzündungswertes Calprotectin im Stuhl gemessen werden. Das Crohn-Colitis-Zentrum in Bern, das an der Studie massgeblich beteiligt war, spricht von «überraschenden Ergebnissen».
Das wohlriechende Harz des Weihrauchstrauches Boswellia sacra oder verwandter Arten hat eine lange Tradition in der Volksheilkunde. In der Antike war das Harz ein kostbares Handelsgut, und sein deutscher Name Weihrauch weist auch auf rituelle Verwendung hin.
Altbewährtes wird manchmal wieder ganz modern: Heute ist Weihrauch als Kapsel oder Tablette gegen entzündliche Darmerkrankungen erhältlich.* Das Harz wirkt gegen alle entzündlichen Krankheiten gut; bei Colitis ulcerosa und bei Morbus Crohn ist die positive Wirkung nachgewiesen. Die Boswelliasäure blockiert offenbar den entzündlichen Prozess, und zwar gleich effektiv wie herkömmliche Medikamente.
Alle Angelegenheiten des Magen-Darm-Traktes und der Verdauung sind eng mit der Ernährung verbunden. Entzündliche Krankheiten des Verdauungstraktes sind zwar mit Hilfe der Ernährung ebenso wenig heilbar wie mit anderen Behandlungsmethoden, aber Symptome lindern lassen sich damit dennoch.
Eine spezifische Diät ist jedoch bis heute nicht bekannt. Blähende Speisen belasten aber die Betroffenen ganz erheblich und sollten deshalb gemieden werden. Ballaststoffe, im Allgemeinen sehr empfohlen, sind bei diesen Erkrankungen zu vermindern. Am besten verträglich sind z.B. weich gedünstete, eventuell pürierte Gemüse, pürierte Gemüsesuppen, Weissbrot, gekochter Fisch, gekochtes Huhn. Gemieden werden die sonst gesunden Salate oder hartes Obst. Und natürlich sind alle abführenden Speisen wie Fruchtsäfte oder Feigen, Sauerkraut oder Leinsamen nicht zu empfehlen.
In akuten Phasen mit Durchfall geht dem Körper viel Wasser verloren, das am besten mit Tee oder Mineralwasser kompensiert wird.
Heute ist bekannt, dass Sport das Immunsystem auf natürliche Weise stärkt. Deshalb wurden Studien mit Patienten durchgeführt, um den Einfluss von Sport auf den Krankheitsverlauf bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zu untersuchen. Und wirklich beeinflusst leichter Ausdauersport den Krankheitsverlauf positiv. Die Studienteilnehmer hatten weniger oft Rückfälle und längere Zeiträume ohne Beschwerden.
Diese Methode ist allerdings etwas zeitaufwändig. Es muss nämlich wöchentlich zwei Mal mindestens neunzig Minuten Sport betrieben werden, und das über einen Zeitraum von sechs Monaten, bis eine spürbare Erleichterung eintritt. Doch wer unter einer entzündlichen Darmerkrankung leidet, sorgt am besten auch auf diese Weise vor, denn die Folgen einer nicht effektiven Behandlung sind schwerwiegend.
Autorin: Judith Dominguez, 12-14