Wer kennt sie nicht: Anisgebäck, Pfeffernüsse, Honigkuchen oder Printen kommen ohne das duftende Gewürz nicht aus. Bekannt ist Anis auch als Brot- und Bonbongewürz und vor allem in Spirituosen und Likören wie dem Pernod und dem süsseren Anisette aus Frankreich, dem griechischen Ouzo, dem italienischen Sambuca und dem spanischen Aguardiente. Neuere Küchenerkenntnis: Auch Gemüse, Saucen, Fisch, Meeresfrüchte, Hühnchen und Ente profitieren von einer pfiffigen Anisnote.
«Unser» Anis (Pimpinella anisum) ist ein Doldenblütler, der ursprünglich aus dem östlichen Mittelmeerraum kommt. Heute wird er weltweit in gemässigtem Klima, insbesondere im Süden Russlands, angebaut. Die kleinen, behaarten Samen reifen von August bis September. Der Echte Sternanis (Illicium verum), mit dem Anis nicht verwandt, ist die Frucht eines immergrünen tropischen Baumes mit hübschen roten Blüten. Er kommt aus Südostasien - Südchina, Japan, Vietnam, Hinterindien, den Philippinen und Jamaika - zu uns, wo die magnolienähnlichen Bäume ganze Wälder bilden können.
Beide Samen sind reich an ätherischem Öl, dessen Aroma von dem Stoff Anethol bestimmt wird. Sehr ähnlich duftet Fenchel, weswegen in fernöstlichen Küchen oft kein Unterschied zwischen Anis und Fenchel gemacht wird; auf den philippinischen Inseln wird auch der Sternanis einfach als Anis bezeichnet. Da Sternanis weitaus ertragreicher ist, löst er den Anis in Küche und Industrie zunehmend ab.
Beliebter Duft: Die Verwendung von Anis hat eine lange Tradition. Schon die alten Kreter würzten ihren Wein mit Anis, zwischen Athen und Korinth wurde mit Anisöl lebhafter Handel getrieben, Pythagoras von Samos bezeichnete mit Anis gewürztes Brot als «köstliche Delikatesse» und der römische Dichter Vergil kannte und liebte Aniskekse.
Im Mittelalter verteilte die Braut an ihrem Hochzeitstag Aniskringel an die Gäste - nicht zuletzt vielleicht deswegen, weil Anis in vielen ländlichen Gegenden als Aphrodisiakum galt.
Sternanis war schon vor 3000 Jahren in China sehr beliebt. Es dauerte jedoch lange, bis er auch im europäischen Raum ankam. Ein englischer Seefahrer soll ihn 1588 von den Philippinen mitgebracht haben - jedoch eher als botanische Rarität; als Gewürz jedenfalls setzte er sich damals nicht durch. Erst im 17. Jahrhundert machte der Sternanis am russischen Hof Karriere, und erst im ausgehenden 18. Jahrhundert lernten wir ihn im deutschsprachigen Raum kennen.
Chinesen und alte Griechen liebten nicht nur Wohlgeschmack und würzigen Duft des Anis, sie kannten auch schon seine heilende Wirkung.
Anis regt die Drüsen des Magen-Darm-Traktes an und wirkt daher gegen Verdauungsbeschwerden, Darmkrämpfe, Blähungen und Koliken. Er beruhigt und stärkt den Magen und wirkt anregend und entspannend zugleich.
Bei Bronchitis, Mandelentzündung oder Entzündungen des Verdauungsapparates wird Anis unterstützend eingesetzt, weil er auch antibakterielle und schleimlösende Eigenschaften hat; da die ätherischen Anisöle teilweise über die Lungen wieder ausgeschieden werden, wird Anis bzw. Sternanis auch gerne in Hustentees verwendet.
Übrigens: Echter Sternanis enthält den Wirkstoff Shikimisäure. Diese war Ausgangsstoff für die Herstellung von Grippemitteln. Shikimisäure wird heute hauptsächlich aus einem speziell gezüchteten Stamm von Escherichia coli-Bakterien gewonnen. Wird Sternanis eingesetzt, ergeben 30 Kilogramm ungefähr ein Kilo Shikimisäure.
Sternanis hat einen nahen Verwandten, den japanischen Sternanis (Illicium anisatum oder I. religiosum), der ganz ähnlich aussieht und riecht. Er wird in Japan in Tempelbezirken und um Grabstätten angepflanzt und als wohlriechendes Räucherwerk verbrannt. Er ist aber als Gewürz nicht verwendbar, sondern giftig, und kann Leber und Nieren dauerhaft schädigen.
Obwohl nicht verwandt, lassen sich Anis und Sternanis in der Küche gleichwertig einsetzen. Sternanis hat ein sehr ähnliches Aroma wie Anis, blumig und sanft; Duft und Geschmack sind jedoch voller und intensiver. In Indien gilt der Geschmack des Sternanis als «freundlich» und daher auch besonders für Kinder geeignet.
Beide Arten gibt es gemahlen oder als ganze Samen zu kaufen. Gemahlene Früchte verlieren ihre Würze jedoch recht schnell; empfehlenswerter ist es daher, ganze Samen bzw. Sterne zu kaufen und sie nur bei Bedarf zu mahlen. Beim Sternanis wird übrigens die ganze Frucht verwendet: Die glänzenden Samen verströmen nur einen Hauch von Anis, intensiver schmecken Samenhüllen und Schale. Beide Gewürzarten halten sich gut verschlossen ungefähr drei Jahre.
Wir kennen Anis und Sternanis meist als Gewürz für Süßes: Gebäck, Pudding, Kompott und Bonbons oder als wohlriechende Zutat in Tee und Glühwein.Dass es auch anders geht, beweist die asiatische Küche. Dort gilt Sternanis als natürlicher «Umamiverstärker».
«Umami» bedeutet fleischig, herzhaft, wohlschmeckend und ist die Bezeichnung für einen Geschmackseindruck, der vor allem durch die Aminosäure Glutaminsäure vermittelt wird. Wir kennen diese besondere Komponente z.B. von vollreifen Tomaten, Fleisch, Käse und Sojasauce – und auch Muttermilch enthält reichlich Glutaminsäure. Umami wird neben süß, sauer, salzig und bitter als fünfte Geschmacksrichtung bezeichnet, für die unsere Zunge auch eigene Rezeptoren besitzt.
Asiaten lieben diese spezielle Geschmacksnote besonders. Daher ist Sternanis zusammen mit Fenchel, Cassiazimt, Nelken und Szechuanpfeffer Bestandteil des berühmten chinesischen Fünf-Gewürze-Pulvers sowie verschiedener Currymischungen und für die Pekingente ganz unentbehrlich. Aber auch in unserer Küche eignet sich Sternanis wunderbar zum Aromatisieren von Gemüse, Geflügel und Saucen zu Fisch und Meeresfrüchten. Der appetitliche Duft alleine lässt Ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen!
Claudia Rawer in den „A.Vogel Gesundheits-Nachrichten" 12/2010