Man nennt sie die Orchideen des Mittelmeeres: die Blüten des Kapernstrauches. Die zarten Knospen sind roh ungeniessbar, aber fermentiert eine gesunde Delikatesse.
Wer nach Salina reist, denkt bestimmt an «il Postino», den schüchternen Postboten und seinen chilenischen Dichter-Freund Pablo Neruda im Kino-Film von Michael Redford. Der Film machte die 27 Quadratkilometer kleine Äolen-Insel vor Sizilien berühmt.
Dabei hat sie noch ganz anderes zu bieten – und das kann man riechen, sobald man das Schiff verlässt. Über Salina liegt ein typischer Duft: das leicht scharfe und würzige Aroma von Kapernsträuchern (Capparis spinosa). Manche sind über einen Meter gross, mit einem Stamm, fast so dick wie ein Oberschenkel. Viele stehen verstreut an Hängen und Trockenmauern, an steil abfallenden Felsen und auf uralten Steinhäusern; eine ganze Menge wächst auch im Acker. Die Insel ist berühmt für ihre Kapern, weil sie zu den besten der Welt gehören sollen.
Der typische Inselgeruch stammt von den ätherischen Ölen der Kapernpflanzen, die ihren Duft verströmen, sobald die Sonne steigt und an Kraft gewinnt. Weil es bei der Ernte auch darum geht, die ätherischen Öle zu gewinnen, werden die noch geschlossenen Blütenknospen am frühen Morgen gepflückt, noch bevor die Hitze beginnt. Nach dem Trocknen legen sie die Inselbewohner nur in Salz ein. Sie wie anderswo in Lake aus Salz, Essig und Wasser oder auch in Olivenöl zu konservieren, gilt auf Salina als Sakrileg.
Durch das Einlegen kommt der eigentliche Fermentierungsprozess in Gang. Er kann sich über mehrere Monate hinziehen. In dieser Zeit lösen sich die Bitterstoffe, und der intensive, delikate Geschmack entfaltet sich.
Erst dann werden die Blütenknospen nach Grössen sortiert: «lacrime» – Tränen – heissen auf Salina die kleinsten mit einem Durchmesser von nur wenigen Millimetern; «caperone» – Riesenkapern – werden die grössten mit einem Durchmesser von bis zu zwölf Millimetern genannt.
Das gilt für die Blütenknospen, die als Gewürzkapern verkauft werden, und ebenso für die weniger bekannten Früchte, Kapernäpfel genannt, mit Stiel. Beim Kauf lässt sich die Qualität noch an weiteren Merkmalen erkennen: Prof. Jan Sneyd rät in seinem «Kapernbuch» dazu, bei Früchten und Blütenknospen auf Farbe und Konsistenz zu achten. Gute Kapern sind nicht braun, sondern frisch-grün beziehungsweise olivgrün; sie sind nicht beschädigt, sondern fest und homogen. Für die Küche rät Prof. Sneyd, Gewürzkapern und Kapernäpfel nicht zu lange zu kochen oder hoch zu erhitzen, weil sich dadurch Geschmack und Konsistenz verändern und Vitamine verloren gehen.
Aber in den kleinen Blütenknospen und Früchten steckt noch viel mehr; und auch die bekannten appetitanregenden und verdauungsförderlichen Eigenschaften sind nicht alles, was Kapern zu bieten haben. Das bestätigen mehrere Studien: Forscher um Prof. Maria A. Livrea von der Universität Palermo isolierten 2007 aus den Blütenknospen und Früchten des dornigen Kapernstrauchs grosse Mengen an natürlichen Oxidationshemmern. Diese können schädliche Stoffe neutralisieren, die insbesondere bei der Verdauung von Fett und rotem Fleisch entstehen, lautet das Ergebnis der Studie. Darum seien Kapern eine ideale Zutat für Fleischgerichte.
Das Team von Prof. Francesco Bonina an der pharmazeutischen Fakultät der Universität Catania entdeckte 2008, dass die Inhaltsstoffe eingelegter Kapernknospen und -früchte Allergien lindern können. Auch zu den kosmetischen Einsatzmöglichkeiten forschte Prof. Bonina: Er kam zu dem Schluss, dass Kapernextrakte entzündungshemmend wirken und den Alterungsprozess der Haut verlangsamen, indem sie deren Melanin-Haushalt stabilisieren.
Die Kaper verdankt diese gesundheitsförderlichen Eigenschaften vor allem sekundären Pflanzenstoffen, von denen sie neben Spurenelementen und Vitaminen reichlich hat: allen voran das Flavonoid Quercetin, das unter anderem das Herz-Kreislaufsystem unterstützen soll. Ausserdem das wasserlösliche Rutin, auch bekannt als das Schönheitsvitamin P, weil es Kapillargefässe schützen und die Haut glätten soll. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler in Kapernextrakten Senföl-Glykoside fest, die in grossen Mengen zwar giftig sind, in kleinen Mengen aber antibiotisch und pilzhemmend wirken.
Diese Potenziale nutzen auch die Inselbewohner von Salina – nicht nur in der Küche, sondern auch bei der Herstellung ihrer kosmetischen Kapernprodukte: Es gibt sie als Tonikum, das der Haut einen zarten Glanz verleihen soll, als Mittel gegen brüchige Haare und sogar als Fluidum gegen Cellulite, weil Kapernex-trakte nach den Studien aus Catania auch das Bindegewebe unter der Haut stärken.
Auf Salina haben die Insulaner inzwischen Mühe, die steigende Nachfrage zu befriedigen. Denn Saliner Kapern werden von Ende Mai bis Ende August noch immer in Handarbeit gepflückt – und es gibt kaum noch jemanden, der diese Mühe für wenig Geld auf sich nehmen mag. In den 1960er-Jahren wurden jedes Jahr zwischen 400 und 500 Tonnen Kapern geerntet – heute liegt die Saliner Kapernproduktion bei gerade noch 300 Tonnen.
Weil aber Salina schon immer eine Insel der Bauern war, die etwas auf Tradition halten, ist Kalkulieren das eine – und die Kaper das ganz andere. Darum halten die Einheimischen fest an den Kapern und feiern seit nunmehr 20 Jahren jedes Jahr am ersten Juniwochenende ihnen zu Ehren ein grosses Fest.
Dann erwacht die Insel aus ihrem Schlaf, insbesondere der winzige Hafenort Pollara im äussersten Westen. In Pollara sollen die besten Kapern heranreifen: Sie stehen dort in reicher Erde am Fusse eines Vulkans und wachsen in sengender Hitze, umweht vom salzigen Meereswind.
Ein Ort mit besonderer Atmosphäre: Pollara war 1994 Drehort für den Film «Il Postino» und ist heute Schauplatz des Kapernfests. Und auch wenn die Insel nicht wie andere mit weissen Stränden glänzen kann – zur «Sagra del Cappero in Fiore» kommen sie alle: Touristen, Prominente und Wissenschaftler, die zu dieser Gelegenheit ihre neuen Erkenntnisse rund um die Kaper austauschen. Zum Fest gibt es Wein und Essen gratis für alle – und das in rauen Mengen: Zirka 30 Kilogramm Kapern verarbeiten die Inselbewohner jedes Jahr für diesen Tag. Denn in einem typisch äolischen Gericht dürfen die kleinen Delikatessen auf keinen Fall fehlen.
Autorin: Gisela Dürselen