Wenn die erwachsen gewordenen Kinder das Elternhaus verlassen, ist das für viele Mütter sehr schwierig. Sie sind traurig, fühlen sich vielleicht auch einsam, machen sich Sorgen um den Nachwuchs. Schon das ist oft nicht leicht zu verkraften. Aber bei vielen Frauen beginnen in dieser Zeit auch noch die Wechseljahre – eine doppelte Belastung. Doch es gibt einige Strategien, die helfen, gut durch diese Lebensphase zu kommen.
Autorin: Annette Willaredt, 10/19
Während die Kinder heranwachsen und besonders in der Pubertät schwierig sind, denken die meisten Mütter immer mal wieder: "Hoffentlich sind sie bald gross und gehen ihre eigenen Wege. Hoffentlich herrscht irgendwann einmal Ruhe im Haus." Doch dann kommt dieser Tag: Das „Kind" ist erwachsen. Es geht zum Studium in eine andere Stadt oder ist berufstätig und zieht in eine eigene Wohnung. Und plötzlich ist es ruhig – zu ruhig!
Zahlreiche Frauen stürzt das plötzliche Alleinsein in eine Krise. Empty-Nest-Syndrom nennen Psychologen dieses Phänomen. Das Nest ist leer, der Nachwuchs flügge. Dadurch ändert sich oft der ganze Tagesablauf – vor allem für die Mütter. Denn immer noch sind meist sie es, die den Hauptteil der Hausarbeit tragen. Plötzlich müssen sie niemandem mehr hinterherräumen, deutlich weniger Wäsche waschen, nicht mehr regelmässig kochen und vieles mehr.
Dass man in den ersten Wochen nach dem Auszug der Kinder eine merkwürdige Leere empfindet, ist völlig normal. Auch dass man sich Sorgen macht, ob die Kinder gut zurechtkommen. Mit diesen Gedanken haben natürlich auch die Väter zu kämpfen. Bei Frauen kommt aber sehr häufig noch ein zweiter Punkt dazu. Gerade, wenn sie ohnehin mit dieser psychischen Belastung konfrontiert sind, beginnen auch noch die Wechseljahre. Zur Leere und dem Gefühl der Verlassenheit gesellen sich dann noch die psychischen Symptome, die häufig durch die hormonelle Umstellung hervorgerufen werden.
Irgendwann zwischen dem 40. und 50. Geburtstag verändert sich die Hormonproduktion. In der ersten Zeit ist der Zyklus oft noch regelmäßig, aber die Blutung kann jetzt stärker oder schwächer werden als gewohnt. Der Östrogenspiegel schwankt, manchmal ist er erhöht. Das macht betroffene Frauen reizbar und oft auch sehr empfindlich. Viele würden schon bei geringfügigen Anlässen am liebsten in Tränen ausbrechen. Je nach Alter denken die Frauen gar nicht daran, dass ihre übergrosse Sensibilität mit hormonellen Prozessen in Zusammenhang steht. So sehen sie die Ursache ihrer Gemütsschwankungen nicht selten einzig im Auszug von Sohn oder/und Tochter.
Die Frauen verstehen sich selbst nicht mehr. Sie haben das Gefühl, dass ihnen die Kontrolle entgleitet, empfinden sich als schwach und unfähig, ihr Leben zu meistern. Hier kann alleine schon die Information, dass die Wechseljahre beginnen und eben solche Symptome mitverursachen, ausgesprochen hilfreich sein. Es tut gut zu wissen, dass der Körper einen Teil dazu beiträgt, dass man sich schlecht fühlt.
Später lässt die Östrogenproduktion in den Eierstöcken dann zunehmend nach, bis sie komplett eingestellt wird. Typische Beschwerden in dieser Zeit sind Hitzewallungen und unvermittelte Schweissausbrüche. Die Menstruation wird sehr unregelmässig und bleibt schliesslich ganz aus. Spätestens jetzt ist allen Frauen klar, dass sie in den Wechseljahren sind.
Neben den körperlichen Symptomen kommt es aber auch oft zu psychischen, die von den Frauen schlechter eingeordnet werden können. Dazu zählen z.B. Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Antriebslosigkeit oder depressive Verstimmungen. Die Betroffenen sollten mit ihrer Frauenärztin reden, was sich tun lässt. Es muss keine Hormonersatz-Therapie sein. In vielen Fällen helfen auch pflanzliche Präparate (z.B. Salbei), die ausgleichend wirken.
Ist die hormonell bedingte Seite der negativen Gefühle abgeklärt, können sich die Frauen daran machen, ihr Empty-Nest-Syndrom zu bewältigen. Sehr wohltuend ist es beispielsweise, einiges in der Wohnung oder im Haus zu verändern. Die Wände neu streichen, die Möbel umstellen, aus dem ehemaligen Kinderzimmer einen Raum für die eigenen Hobbys machen – das ist nicht nur eine willkommene Ablenkung. Es macht deutlich, dass ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. Und es sorgt dafür, dass man nicht in jedem Winkel an die Kinder erinnert wird. Und falls der Nachwuchs ab und an zum Übernachten kommt, kann man für diese Fälle ja ein Schlafsofa anschaffen.
Ebenfalls sehr zu empfehlen ist es den betroffenen Frauen, sich einen neuen Lebensinhalt zu suchen. Besonders Mütter, die mehrere Kinder grossgezogen haben und deshalb nur eingeschränkt oder gar nicht beruflich tätig waren, haben lange Jahre ihren Fokus ganz auf den Nachwuchs gerichtet. Sie hatten meist wenig oder gar keine Zeit, einem Hobby nachzugehen. Jetzt ist dafür endlich Platz im Alltag. Eine Sprache erlernen, Konzerte besuchen, malen, fotografieren – wer ein bisschen herumprobiert, findet bestimmt bald etwas, das Spass macht und das Gefühl von Leere verscheucht. Frauen, denen es sehr fehlt, sich um jemanden zu kümmern, können sich auch sozial engagieren. Wohltätige Organisationen, kirchliche Einrichtungen, Seniorenheime oder Einrichtungen, in denen Kinder betreut werden, freuen sich stets über Menschen, die eine ehrenamtliche Aufgabe übernehmen.
Auch für eine Partnerschaft ist der Auszug der Kinder eine große Herausforderung. Viele Jahre hat man zusammen vor allem als Eltern den Alltag gemanagt. Man musste oft nur funktionieren. Die freie Zeit war zum grossen Teil den Kindern vorbehalten. Die Beziehung blieb dabei häufig auf der Strecke.
Die Beziehung muss nun meist wieder völlig neu entdeckt und definiert werden. Eine grosse Unterstützung dabei sind gemeinsame Unternehmungen und Gespräche. Sie helfen, neue Seiten aneinander zu entdecken. Das mag anfangs recht ungewohnt sein. Doch wer an das „Projekt Paar" mit Offenheit und Neugierde herangeht, wird oft grosszügig belohnt. Nicht selten verlieben sich die Partner erneut ineinander.
Leider helfen nicht allen Frauen diese Tipps. Sie sind vielleicht seelisch in eine zu tiefe Krise geraten – ein Problem, das mehr Menschen betrifft als viele denken. Ein guter Weg kann es nun sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschliessen. Sich mit anderen auszusprechen, die Ähnliches durchmachen, nimmt viel von der Last. Oft genügen einige Monate mit regelmässigen Gesprächen in der Gruppe, um wieder ins Lot zu kommen. Reicht das nicht aus, sollten die betroffenen Frauen professionelle Hilfe von einer Psychologin oder einem Psychotherapeuten anzunehmen. Manchmal versteckt sich hinter der Traurigkeit eine echte Depression, die behandelt werden muss. Wichtig zu wissen: Eine solche Erkrankung hat nicht automatisch etwas mit dem Auszug der Kinder zu tun. Sie kann auch nur zufällig gleichzeitig auftreten. Immerhin ist etwa jede vierte Frau einmal im Leben von einer Depression betroffen.