Trotz zunehmender Beliebtheit von Bio-Lebensmitteln: Selten verursachte eine Studie so heftiges Rauschen
im Blätterwald wie die Meta-Analyse der Stanford Universität in
Kalifornien im Jahr 2012. Thema: Bio-Lebensmittel seien kaum
sicherer und gesünder als konventionell angebaute.
Ingrind Zehnder, GN 2012
Von Los Angeles bis New York, von Paris bis Madrid, von Hamburg bis Zürich, echoten die renommiertesten Zeitungen unreflektiert die Befunde der amerikanischen Arbeitsgruppe. Zahlreiche TV- und Radio- Nachrichten stimmten in die makabre Melodie ein. Man staunt, wie die doch recht schwammige Aussage «Bio nur wenig gesünder», «kaum gesünder», «nur ein bisschen gesünder», «nicht unbedingt gesünder» in den Schlagzeilen derartige Furore machen konnte.
Antwort der Stanford-Analyse: Nein, Bio ist kaum
nährstoffreicher, also kaum gesünder.
Auf der Suche nach besonders gesunden Bio-Früchten
oder Bio-Gemüsen wurden die Wissenschaftler nicht
fündig. Allerdings hat bisher niemand erklären können,
weshalb Bio-Karotten oder Bio-Äpfel grundsätzlich
andere Inhaltsstoffe haben sollten als konventionell
angebaute – in dieser Beziehung sind Rüben
nun mal Rüben und Äpfel sind immer noch Äpfel.
Trotzdem waren die Verfasser «ein bisschen erstaunt, dass wir nichts gefunden haben», sagte Crystal Smith-Spangler, die Leiterin der Übersichtsstudie. Hingegen finden sich in der Studie stupide Aussagen wie: «So kann ein mit Pestiziden behandelter, saftiger Pfirsich mehr Vitamine enthalten als ein unreifer Bio-Pfirsich.»
Des Weiteren wird berichtet, dass sich im Hinblick auf die Häufigkeit von Ekzemen, Atemgeräuschen und Allergien kaum Unterschiede zwischen konventioneller und biologischer Ernährung zeigten. Allerdings konnten sich die Forscher hier nur auf drei Human- Studien mit klinisch relevanten Ergebnissen berufen. Auch was die Belastung mit Krankheitserregern wie Bakterien und Pilzen angeht, finden sich kaum Differenzen.
Schaut man genauer hin, sprechen einige Ergebnisse der Studie dann doch mehr für Bio, als die Zusammenfassung vorgibt – zumindest im Blick auf einige Nährstoffe: Ökologisch erzeugte Lebensmittel enthalten klar höhere Level an Phenolen, die krebsvorbeugend wirken sollen. Was die Menge dieser Stoffe betrifft, waren die Daten jedoch sehr unterschiedlich und wurden «mit Vorsicht interpretiert».
Einige in die Analyse aufgenommene Studien legten nahe, dass Bio-Milch höhere Mengen an Omega- 3-Fettsäuren enthält als normale Milch. Dies wäre ein für den Menschen gesünderes Fettsäuremuster, das auch als Schutz für Herz und Kreislauf gilt. Dass Milch und Fleisch ökologisch gehaltener Kühe mehr gesunde Fettsäuren enthalten, liegt an der Fütterung: wenig Kraftfutter und Mais, dafür mehr Grünfutter und Heu als konventionell gehaltene Rinder.
Bei einer Sorte habe die Öko-Frucht im Test sogar süßer und somit besser geschmeckt als die konventionell angebaute, während bei zwei weiteren Sorten kein Geschmacksunterschied zwischen Bio und Chemie festzustellen war. Bodenproben der biologisch bewirtschafteten Ackerflächen wurden als fruchtbarer, genetisch vielfältiger und gesünder beurteilt. Wie amerikanische Web-Autoren mitteilten, sagte Dr. Smith-Spangler, dass das Stanford-Team diese Studie irrtümlich übersehen habe, sie aber im Vergleich mit 31 anderen Studien nichts an ihrer Schlussfolgerung geändert hätte.
Bio-Vorteil: Was nicht gefunden wird (1)
Doch zurück zur Stanford-Studie. Immerhin zeigt sie,
dass auf Bio-Ware Pestizidrückstände seltener und
in geringerer Menge zu finden sind. In 7 Prozent der
Bio-Proben liessen sich Pestizide nachweisen, bei
konventionellen Proben lag die Rate bei 38 Prozent.
Bio-Obst und -Gemüse sind in aller Regel unbelastet,
da im biologischen Anbau keine chemisch-synthetischen
Pestizide zugelassen sind – lediglich in Ausnahmen
werden Spuren von Pestiziden gefunden.
Dieser
nicht zu vernachlässigende Unterschied trieb die
Studienautoren jedoch nicht dazu, Bio-Lebensmittel
als gesünder zu klassifizieren. Im Gegenteil: Sie
argumentierten, die Rückstände hätten alle unter
dem gesetzlichen Grenzwert der amerikanischen
Umweltbehörde (EPA) gelegen. Ausser Acht gelassen
wurde dabei die Mehrfachbelastung durch verschiedene
Pestizide, wie sie häufig bei konventionellem
Obst und Gemüse vorkommt. «Im Apfelanbau etwa
werden mehrere Fungizide, Insektizide und Herbizide
verwendet, ausserdem Phytohormone, um
die Früchte auszudünnen. Die Auswirkungen dieser
Chemikalien werden nie summiert», weiss Prof. Dr.
Urs Niggli vom FIBL.
Die Forschung beginnt gerade erst, die gesundheitlichen
Auswirkungen von Pestiziden zu eruieren. Man
spricht davon, dass Herbizidrückstände auf genveränderten
Feldfrüchten Fortpflanzungsprobleme verursachen.
Eine Belastung mit Pestiziden wird zufolge
mehrerer Universitäts-Studien mit Frühgeburten, dem
Zappelphilipp-Syndrom (ADHS) und mit Intelligenzschäden
bei Kindern in Verbindung gebracht.
Das Stanford-Team fand auch zwei Studien, welche besagen, dass im Urin von Kindern, die sich ökologisch ernährten, weniger Pestizidrückstände zu finden sind als bei Kindern, die konventionelle Lebensmittel verzehrten. Das unglaubliche Stanford-Resumee: «Die Bedeutung dieser Funde in Bezug auf die Kindergesundheit ist unklar.»
Bio-Vorteil: Was nicht gefunden wird (2)
Die Stanford-Wissenschaftler konstatieren, dass Biofleisch von Huhn und Schwein weniger antibiotika-resistente Keime zu enthalten «scheint», doch sei auch hier die medizinische Bedeutung «unklar». (Nichts geht über «wissenschaftliche» Befunde!) Sie stellen aber fest, dass konventionell erzeugtes Geflügel- und Schweinefleisch mit zwischen 21 bis 45 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit mit Bakterien belastet war, die gegen drei oder mehr Antibiotika resistent waren. Doch auch in diesem Fall sehen sie sich nicht veranlasst, den Öko-Verzehr besser zu benoten.
Die Studienverfasser sorgen sich auch – recht ungewöhnlich für eine wissenschaftliche Analyse – in auffälliger Weise um das Geld der Konsumenten. «Die Popularität der Bio-Produkte, die im Allgemeinen ohne synthetische Pestizide oder Kunstdünger oder routinemässigem Einsatz von Antibiotika oder Wachstumshormonen erzeugt werden, ist in den USA in die Höhe geschossen. Zwischen 1997 und 2011 stieg der Verkauf von Bio-Produkten von 3,6 auf 24,4 Milliarden Dollar, und viele Verbraucher sind bereit, Höchstpreise für diese Produkte zu zahlen. Bio-Lebensmittel sind oft doppelt so teuer wie die entsprechenden konventionellen Produkte.» Und sie stellen immer wieder die Frage, ob es klug (smart) sei, so viel Geld auf den Tisch des Hauses zu legen. Kontroverse in den USA Aufgrund der Studie befeuerten viele US-Medien die Zweifel am Wert von Bio-Produkten und behaupteten, Bio-Lebensmittel seien ihr Geld nicht wert.
Andere (alternative) Medien hingegen bezeichneten
die Analyse als höchst unwissenschaftlich, weil die
Datenlage zu dürftig und die zugrundeliegenden
Untersuchungen zu wenige, zu lückenhaft und zu
unterschiedlich waren – was die Verfasser übrigens
selbst einräumen. Sie stellten zudem die enge
Verbindung zwischen der privaten Universität und
den Agrarriesen Cargill (weltgrösster Agrarkonzern
und Befürworter der Gentechnik) und Monsanto
(multinationales Unternehmen, Hersteller u.a. von
gentechnisch verändertem Saatgut, Herbiziden und
Schädlingsbekämpfungsmitteln) dar.
Darüber hinaus wurde bekannt, dass ein Co-Autor der Meta-Analyse, früher wohlmeinende Statistiken für die Tabakindustrie erstellt habe, die nahe legen sollten, dass Rauchen nicht ungesund sei. Es sei aber nicht verschwiegen, dass Ende September 2012 im Internet ein Aufsatz erschien mit dem Titel «Ist Bio besser und die zusätzlichen Ausgaben wert? Eine alternative Sicht auf Bio von Stanford.» Geschrieben wurde er von Christoph Gardner, Dozent der Stanford School of Medicine, und er beginnt mit dem Satz: «Wow! War das ein Feuersturm!» Darin wird vorsichtig versucht, die Arbeit der Kollegen zurechtzurücken und ihre Motive zu erklären. Sturm im Wasserglas Auf unsere am Anfang gestellte Frage, wieso eine derart limitierte Arbeit derartiges Aufsehen auf der ganzen Welt erregen konnte, fand der Stanforder Medizinprofessor diese Antwort: «Gemässigte Begeisterung verkauft sich nicht … die Presse favorisiert stets die Brandrodung.» Wir nicht.
Die Verfasser begutachteten Tausende von bereits existierenden englischsprachigen Veröffentlichungen und wählten daraus 237 aus, die wissenschaftlichen Maßstäben genügen sollten. Sie verwerteten die Ergebnisse bereits vorhandener Studien aus den Jahren 1996 bis 2011. Es handelte sich dabei um 17 Studien an Menschen, die sich biologisch oder herkömmlich ernährten, und 223 Studien, die sich mit dem Gehalt an Nährstoffen bzw. der Belastung mit Bakterien, Pilzen oder Pestiziden beschäftigten. Untersucht wurden Milch, Eier, Früchte, Gemüse, Getreide, Hühner- und Schweinefleisch.
Die Studie: Are Organic Foods Safer or Healthier Than Conventional Alternatives? A Systematic Review. Crystal Smith-Spangler et al., Stanford School of Medicine, Sept.2012, publ. in Annals of Internal Medicine.