Xylit wird aus Birken, Buchen oder Mais gewonnen und sieht aus wie Haushaltszucker, schmeckt zuckersüß und schützt vor Karies. Text: Petra Horat Gutmann, 12.2014
Birkenzucker ersetzte in Finnland während dem 2. Weltkrieg den rar gewordenen Zucker
Weiße Birkenstämme, blauer Himmel, finnische Naturidylle – mit solchen Bildern wird Birkenzucker seit einigen Jahren in der Schweiz und in den angrenzenden Ländern beworben.
Glaubt man den Versprechungen, haben wir es hier mit einem Zucker der Superlative zu tun: gleiches Aussehen und fast gleich starke Süßkraft wie Haushaltszucker, 40 Prozent weniger Kalorien und ein tiefer glykämischer Index. Letzteres bedeutet, dass die Birkenzucker-Kohlenhydrate den Blutzuckerspiegel weniger stark ansteigen lassen als Haushaltszucker, was die Bauchspeicheldrüse und den Insulinhaushalt entlastet.
Die reduzierte Kalorienmenge ist ebenfalls erfreulich, zumal der Durchschnitts-Schweizer und -Deutsche rund doppelt so viel Zucker pro Tag konsumiert wie die empfohlene Menge von 50 Gramm.
Die ungewöhnliche Wirkung des Birkenzuckers beginnt bereits im Mund. Über 300 Studien belegen, dass der alternative Zucker die Anzahl der zahnfeindlichen Bakterien im Speichel und die schädliche Säurebildung in der Plaque reduziert. Ein Grund, weshalb Birkenzucker in Finnland und anderen Ländern zahnärztlich empfohlen wird, besonders im Kaugummi.
Wie ist es möglich, dass ein Zucker die Zähne schützt? Verständlich wird das nur, wenn man weiß, dass «Birkenzucker» de facto gar kein Zucker ist, sondern ein Zuckeralkohol mit dem chemischen Namen «Xylit» bzw. «Xylitol». Die Bezeichnung leitet sich her vom griechischen «Xylon» für «Holz» oder botanisch «Pflanzenleitgefäß». Ein Hinweis darauf, dass Xylit/Xylitol in zahlreichen Pflanzen als natürliche Substanz vorkommt, besonders in Früchten, Gemüse und Baumrinden. Auch im menschlichen Körper ist Xylit als Zwischenprodukt des Glukosestoffwechsels natürlicherweise vorhanden.
Dass der Volksmund trotzdem von «Birkenzucker» spricht, hat mit den Finnen zu tun: Sie sahen sich im zweiten Weltkrieg nach einer alternativen Zuckerquelle um und fanden diese im Xylit, das sie aus der Rinde ihrer Birken extrahierten.
Heute wird Xylit nicht mehr ausschliesslich aus Birken gewonnen. Der führende europäische Xylit- Hersteller gewinnt sein Rohmaterial aus FSC-zertifizierten Mischwäldern, die für die Papierindustrie genutzt werden. Wenn Sie also im Reformhaus, in Drogerie oder Apotheke einen Beutel mit der Aufschrift «Birkenzucker aus Finnland» kaufen, stammt der Inhalt in aller Regel von europäischen Buchen und Birken. Daneben gibt es in Drogeriemärkten Packungen mit der simplen Aufschrift «Xylit». Dieses stammt meist aus China, das Xylit in grossem Stil aus Mais gewinnt. Kritiker bemängeln, dass diese Mais-Monokulturen mit Pestiziden und Herbiziden behandelt seien, während das in Europa gewonnene Xylit aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stamme (FSC-Gütesiegel).
Trotz seiner gesundheitlichen Vorteile wird Birkenzucker nicht nur gelobt. Xylit könne Verdauungsbeschwerden verursachen, sagen manche Stimmen. Als Vertreter der «Zuckeraustauschstoffe» kann Xylit in höheren Mengen tatsächlich abführend und blähend wirken. Aus diesem Grund beläuft sich die empfohlene Tagesdosis auf 50 bis 70 Gramm. Wer einen sensiblen Darm hat, testet den Birkenzucker am besten probeweise, indem er eine kleine Portion kauft.
Studien zeigen allerdings auch, dass sich der Körper rasch an höhere Mengen Xylit gewöhnt und selbst 200 Gramm pro Tag problemlos vertragen werden. Gut zu wissen ist zudem, dass Xylit keine Heißhungerattacken verursacht wie dies bei künstlichen Süssstoffen möglich ist. Denn im Gegensatz zu Aspartam & Co. irritiert Xylit den Regelkreis von Appetit und Insulinausschüttung nicht durch eine künstlich überhöhte Süßkraft bei gleichzeitiger Kalorienfreiheit.